Ich und meine Welt. Zu den Filmarbeiten von Corinna Schnitt

Von Barbara Pichler

In statischen schwarzweißen Einstellungen ist eine Frau beim Putzen zu sehen, aus dem Off sind Aufzeichnungen vom Anrufbeantworter zu hören: Monologe der überbesorgten HausbesitzerInnen, die beinahe manisch jede Unsicherheit, jede Veränderung der bestehenden Ordnung verbal verhindern wollen. „Ich sagte ja schon, es wäre nicht auszudenken, wenn dieser Schlüssel wegkommt, denn ein Schlüsseldienst kann da nicht mehr helfen.“ Die Kommentare richten sich an niemand bestimmten und treffen im Bild auf ein minimales Szenario. Das akribische Putzen wirkt beinahe wie durch die Worte beflügelt und gleichzeitig wie ein ironischer Kommentar darauf. So absurd erscheinen die rigiden Strukturen dieses Lebens, dass man sich gegen das Lachen nicht wehren kann.

Schon in Schönen guten Tag (1995, 5min), Corinna Schnitts erstem Film, sind die Grundkonstanten der Arbeiten der 1964 geborenen Künstlerin deutlich ausgeprägt: Um den Alltag geht es, um Routinen und die Strukturen, in denen man sich einrichtet, um Regeln und die Vermittlung dieser Regeln, um Perfektion und Idealvorstellungen, Sehnsüchte und immer auch um Kommunikation. Die Geschichten sind inszenierte Mikroszenarien eines Alltags, der jedoch gleichzeitig ironisch überhöht ist. Die Bilder sind genauestens konstruiert, die Kamera fungiert als eine objektive Instanz.

Auch wenn Schnitt zwischen den Medien pendelt – fotografische Serien, Installationen, Filme… – findet man doch in allen ihren Arbeiten die aufmerksame Beobachtung und Einfühlung in bestimmte Szenen, die klare Strukturierung des Raumes und der Körper darin. Studiert hat Schnitt an künstlerischen Hochschulen in Offenbach, Hamburg und Düsseldorf, und vielleicht verortet sie sich auch deshalb ganz selbstverständlich mehr im Kunstkontext. Doch in ihren bisher entstandenen kurzen Filmen hat sie eine eigenwillige Handschrift entwickelt, die in der Verschränkung von Narration, Raum und Rhythmisierung auch im Kino wunderbar aufgehoben ist.

Für sie, so Corinna Schnitt im Gespräch, war der erste Film auch ein Anlass, über Text im Film und die Verbindung von Bild und Ton nachzudenken. Das genaue Arbeiten mit dem Text, das Überdehnen erkenn- und teilweise auch nachvollziehbarer Lebensentwürfe in die Absurdität, ist ein Merkmal, das ihre Szenarien auszeichnet. Man bekommt immer etwas erzählt, und Irritation ist ihr dabei wichtig: „Man soll sich schon in Momenten fragen, ob die Sprechenden das nicht doch alles ernst meinen könnten.“ Die Erzählung geht ins Leere und es bleibt ein Rest, der nicht definiert wird, der einem zur Deutung überlassen wird.

In Zwischen vier und sechs (1997, 6min) dreht sich alles um die Organisation des Alltags. Der Off-Kommentar begleitet den ganzen Film und setzt ein mit den Worten: „Bei uns zu Hause gab es einen ganz genauen Tagesplan.“ Gar nicht negativ ist das gemeint, eine Frauenstimme erzählt ganz zufrieden von ihrer Kindheit und der Strukturierung ihrer Zeit, vorgegeben von der Schule und den Eltern. Die Erzählung wirkt authentisch, stutzig wird man irgendwann nur ob der „Perfektion“ dieses Lebens. Seit sie arbeite, gehe sie jeden Sonntag zu den Eltern und zwischen vier und sechs ziehen sie dann alle zusammen los um zu putzen. Die Straßenschilder der Umgebung putzen sie, und schön sei es, wenn es etwas gebe, dass eine Familie verbindet, eine gemeinsame Unternehmung. In Raus aus seinen Kleidern (1998/99, 7min30) ist eine Frau zu sehen, die auf der Terrasse eines Hochhauses steht und eine rote Bluse ausbeutelt. Ununterbrochen wiederholt sich diese Bewegung und es dauert ein paar Momente, bis man bemerkt, dass man einen Loop sieht. Dazu hört man ihre Erzählung: auch sie lebt, man ahnt es schon, nach einem strengen Regelsystem – zumindest, wenn es um ihre Wäsche geht, mit der sie sich obsessiv beschäftigt. „Aufpassen muss man, je älter man wird, finde ich. Ab achtzehn, würde ich sagen, ist es wichtig, mit seiner Wäsche richtig umzugehen.“

Die Texte aller ihrer Filme sind von Corinna Schnitt geschrieben und in den beiden zuletzt genannten Filmen auch selbst gesprochen. Die Tatsache, dass sie in ihren frühen Arbeiten immer zu sehen und zu hören ist, passt gut zu ihrem Arbeitsverständnis. Natürlich sei die Produktion eines Filmes zumindest bis zu einem bestimmten Grad ein arbeitsteiliger Prozess und es gäbe immer wieder Einflüsse von Menschen, mit denen sie zusammenarbeitet. Aber vor allem seien diese Arbeiten die Umsetzung ihrer künstlerischen Vision, sie sehe sich eher als Künstlerin denn als Filmemacherin. Diese Homogenität des künstlerischen Entwurfs ist in Schnitts Werk auch zu spüren, alles ist – in positivstem Sinne – aus einem Guss.

Die Verbindung der Narration mit dem (filmischen) Raum, der Versuch einer konkreten „Verortung“, der oft mit einer bewussten Ambivalenz und einem Scheitern verbunden ist, ist eine zweite Konstante in ihren Arbeiten. In Das nächste Mal (2003, 6min) liegen zwei Kinder auf einer Wiese und sprechen von der Liebe. Über Gefühle, so scheint es, lässt sich nur in Klischees sprechen und obwohl Schnitt den Text selbst verfasst hat, erkennt man ihn aus unzähligen Filmen oder auch Büchern wieder: „Du bist für mich etwas ganz Besonderes.“ – „Sagst du das nur so oder meinst du es wirklich?“ Sie sprechen und sagen doch nichts, und auf der Tonspur zwitschern dazu übertrieben laut die Vögel. Doch entgegen dem Klischee ist es hier der Junge, der mehr liebt, der unsicher ist. Dann bricht der Kommentar ab und man bleibt dem Bild überlassen, aus dem sich nach und nach etwas anderes eröffnet: Die Kamera zieht sich immer weiter zurück, bis der romantische Flecken sich als kleiner grüner Rest zwischen stark befahrenen Straßen entpuppt. Das Private ist untrennbar mit dem öffentlichen Raum verschränkt, mit einem Nicht-Ort, der nicht mehr zu besetzen ist und diese Idylle nur noch zulässt, indem man sich auf den kleinsten Ausschnitt konzentriert.

Von Architektur, dem gebauten Raum als Ausdruck einer gesellschaftlichen Ordnung, von der Sehnsucht nach Geborgenheit, Sicherheit und Besitz erzählt Das schlafende Mädchen (2001, 8min30). Die Kamera gleitet in einem langen kontrollierten Schwenk von müheloser Leichtigkeit eine Ferienhaussiedlung entlang. Extrem künstlich wirkt diese menschenleere Siedlung, beinahe modellhaft. Das Bild allein spricht von Wünschen und Lebensrealitäten, es gibt keinen Kommentar. Dann nähert man sich einem Haus an, der Kamerablick fällt durch das Fenster hinein auf Vermeers Gemälde Das schlafende Mädchen (1656/57). Zwei Zeitebenen treffen hier aufeinander und die Worte setzen ein. Ein Versicherungsmakler spricht auf den Anrufbeantworter, in vorgefertigten, variabel einsetzbaren Sprachteilen bietet er Auskunft über Rentenversicherungsmodelle an. Die Kamera folgt dabei einer einzigen, durchgehenden, exakten Bewegung: von der Nahen in die Totale und wieder in die Nahe, Symmetrie ist das bestimmende Element.

Beliebigkeit existiert nicht in Corinna Schnitts Universum, weder auf der Ton- noch auf der Bildebene. Das Bild wird für eine statische oder gleichmäßig bewegte Kamera – ruhige Zooms, Fahrten, Schwenks – entworfen. Die Bewegungen sind genau auf die Erzählung abgestimmt, Timing ist alles und es funktioniert perfekt.

Oft verläuft in Schnitts Arbeiten die Narration eine zeitlang gegenläufig zum Bild. In Zwischen vier und sechs wird die Erzählung über die Struktur des Familienlebens von einer Kamerafahrt durch eine städtische, bürgerliche Wohngegend begleitet: Häuserreihen, Vorgärten, Bürgersteige. Im Bild ist das Private hinter die Fassaden verschwunden und bleibt deutlich getrennt vom öffentlichen Raum, der menschenleer und austauschbar ist. Die Bilder sind geloopt, der Aktionsradius ist sichtlich begrenzt, man fährt zweimal an der Häuserreihe entlang und stoppt schließlich bei einer Gruppe von drei Personen, die man beim ersten Mal leicht übersieht. Erst dann treffen sich Bild und Ton. „Es reizt mich“, so Schnitt, „filmische Bewegungen und Erzählungen bewusst gegenläufig zum Spielfilm zu entwickeln. Dort wird einem Gesicht die Aktion zugeordnet, hier verläuft der Weg umgekehrt: erst am Ende bekommt man kurz die Gesichter zu sehen, die diese Zuordnung erlauben würden.“ Vorher muss man sich mit den Worten im „leeren“ Raum herumschlagen. Auch in Raus aus seinen Kleidern gibt es dieses bewusste Spiel mit filmischen Erzählstrukturen: während des Kommentars aus dem Off zieht sich die Kamera in einem Zoom immer weiter zurück. „Diese Bewegung in die Ferne hat mir gefallen. Normalerweise rückt im Film die Kamera näher und dann folgt eine Aktion. Hier geht man immer weiter weg, nur um ganz am Ende, wenn kurz die Erzählerin ins Bild kommt, wieder eine scheinbare Nähe herzustellen.“

Schloss Solitude (2002, 10min) besteht ebenfalls aus einer Plansequenz, die zeitliche Ebenen in einem architektonischen Raum verschränkt. Eine Frau in barocken Gewändern singt unablässig: „Ich bin was Besondres“ und die Kamera zieht sich in einer einzigen durchgehenden Bewegung von ihr zurück, durch die Zimmerfluchten des Schlosses. Die Assoziationen zum Märchen liegen nahe und zu einer neurotischen Selbstbezogenheit. Dann kommen als Antwort auf den Gesang der Frau Männerstimmen, die beteuern, „Ja, wir lieben dich.“ Erst wenn man das Gebäude verlässt, findet man sich unvermutet in der Gegenwart wieder. Die Sänger sind in Uniform, Mitglieder eines Polizeichores, und als Abschlusspointe fährt dann ein Bus durchs Bild. Die Künstlichkeit der Komposition wirkt retrospektiv gesehen auch wie ein ironischer Kommentar auf die historische Bausubstanz im „zeitgenössischen“ Raum.

In ihrem bisher letzten Film Living A Beautiful Life (2003, 13min) arbeitet Schnitt zum ersten Mal mit SchauspielerInnen, die ihren Text direkt in die Kamera sprechen. Ein attraktives Paar erzählt von seinem perfekten Leben in seinem perfekten Haus, von seinen Wünschen. „How do you imagine a beautiful life?“, diese Frage ließ sich Corinna Schnitt von amerikanischen Teenagern beantworten und baute daraus ihren Text. Man sieht sich mit den üblichen Klischees konfrontiert – Sicherheit wünschen sie sich, Gesundheit, ein harmonisches Familienleben – und beinahe erschreckt registriert man auch die geschlechtsspezifischen Unterschiede. Während der Mann von einem Leben als Held und Wissenschaftler träumt, gibt sich die Frau mit kleineren Wünschen zufrieden, wirkt auch weniger überzeugt von ihrer eigenen Perfektion. „Everyone wants a lot of things, but it’s because it makes them happy. My life is simple, because it’s the little things that are most important. For example, I love to sing, I love to hear and play music everywhere I go: in the car, when I wake up. I start singing a song and my husband joins in and sometimes we sing a duet, complete with harmony…“ Eine Differenz offenbart sich, in der sich die Geschlechter niemals treffen können – eine Erkenntnis, die sich in der leicht melancholischen Stimmung der Frau spiegelt. Wie immer nimmt die Kamera den Status einer objektiven Beobachterin ein. Die Erzählenden sind in den Bildern genau positioniert, die statischen Aufnahmen erinnern an Hochglanzfotos in Architekturzeitschriften, an Werbungen, die einem die Sehnsüchte für einen anderen, besseren Lebensstil einpflanzen sollen – und aus dieser Idylle wird eine stille, böse Parodie.

Corinna Schnitt reduziert Monologe und Bilder auf Wesentliches. Ihre Geschichten entstehen aus einer Mischung von Dokumentarischem und Fiktionalen, einer genauen Balance von Beobachtung und Ironie, die ProtagonistInnen und Orte sind Ergebnisse gesellschaftlicher Strukturen und Beziehungen. Die Versuche, sich im eigenen Alltag einzurichten, laden zur Identifikation ein und reizen gleichzeitig zum Lachen, halten einen dadurch auf Distanz. Subtil hinterfragen sie die Wirklichkeit und fordern eine Überprüfung der eigenen Klischees und Utopien. Man lacht, aber sicherheitshalber nicht zu laut.

Erstabdruck in kolik.film Sonderheft 3/2005

Dank an die Herausgeber für die freundliche Genehmigung zum Abdruck des Textes