Schloss Solitude

Film / Video, 2002

aufgenommen auf 16 mm Film, verfügbar als 16 mm Film, DigiBeta und DVD, Farbe, Ton 10 min (Filmversion oder Loop) Format: 4:3 In folgenden Sprachen : Deutsch oder English dubbed

Mehr InformationenRegie, Liedtext: Corinna Schnitt
Filmmusik : Mark Randall Osborn
Sängerin: Dagmar Würthen
Chor: Polizeichor Saarbrücken
Kind: Lilian Heere
Kamera: Justyna Feicht
Steadicam Operators: Jörg Süß, Knut Adass
Grip: Jürgen Zarda, Dirk Walther, Dieter Müller-Lenz
Ton : Jens Ludwig, Dirk Krecker
Tonmischung: Enrico Corsano und Sound Vision, Köln
Licht: Michael Böckmann, Tom Gork, Andreas Brenner
Ausstattung: Lisa Fuß
Maske: Lydia Hauser
Standfotos: Ellen Bornkessel
Catering: Karin Geiger, Jacqueline Kowol
Produziert mit freundlicher Unterstützung: MFG-Filmförderung Baden Württemberg und Akademie Schloss Solitude

Synopsis

„Ich bin was Besonderes“, eine anmutige Dame in höfischemGewand intoniert diesen Satz in der spätbarocken Architektur des Schloss Solitude in Stuttgart. Von der Schlosstreppe aus antwortet ihr ein Männerchor: „Wir lieben dich“. Es entsteht ein monotoner und gleichzeitig grotesker Wechselgesang, der in der ständigen Wiederholung etwas Neurotisches bekommt. Die Reduktion auf zwei Kameraeinstellungen, die streng den beiden Achsen der barocken Anlage folgen, verstärkt diesen Eindruck. Den Prolog dafür bildet eine Sequenz, in der ein ebenfalls höfisch gekleidetes Kind die Betrachter in die absurde Szenerie einführt. Am Ende bricht das Banale in die artifizielle Anspannung gleichermaßen erlösend wie ironisch ein.

Isabel Herda

Text von Isabel Herda‚Ich bin was besonderes‘. Narzisstische Selbstanmaßung, Überheblichkeit aber auch naives kindliches Begehren nach dem Außergewöhnlichen. Corinnna Schnitt lässt diesen Satz in der baroken Umgebung des Schlosses Solitude von einer höfischen Dame im Barockgewand singen. Wer sind wir? Wer wollen wir sein? Auf der Schlosstreppe antwortet ein Männerchor in Polizeiuniform ‚Ja, wir lieben dich‘. Es entseht ein monotoner und grotesker Wechselgesang, der in der ständigen Wiederholung etwas neurotisches bekommt. In der Reduktion auf zwei Kameraeinstellungen, die streng den beiden Achsen der barocken Archtektur folgen, wird dieser Eindruck noch verstärkt. Dabei bildet die erste Einstellung einen Prolog, in dem ein Kind in die fiktive und inszenierte Szenerie einführt. Am Ende wird der endlose Wechselgesang von einem leerem Linienbus durchkreuzt. Das Banale bricht in die artifizielle Anspannung erlösend und gleichzeitig ironisch ein.

In ihren Filmen und Fotografien erzählt Corinna Schnitt mit scharfer Ironie Geschichten, die um banale, bisweilen ins Absurde gesteigerte Alltagssituationen kreisen. Klischee- und Wertevorstellungen von Familie, Privatheit und individuellem Glück werden dabei gelichermaßen bedient wie hinterfragt. Ordnung, Überschaubarkeit, Sauberkeit einerseits. Beklemmung und Zwanghaftigkeit andererseits. Mit sicherem Gespür für Bildkonstruktion und Wirkung arrangiert Corinna Schnitt ihre Bildwelten: beiläufig und banal, komisch und absurd, dirstanzierend und zugleich vertraut.

Text von on Cornelia Brüninghaus-KnubelEs beginnt wie ein Kostümfilm: ein spätbarockes Schloss von innen, ein Kind im hübschen Rokokokostüm läuft der Kamera entgegen, dann nimmt sie seine Blickrichtung auf, die durch den Schwenk mit der des Betrachters zusammenfällt. So wie “Das Kind und die Gräfin” ein Bildthema aus der Kunstgeschichte sein könnte (und in der Tat hat sich Corinna Schnitt an ein historisches Foto erinnert), ist auch das Motiv der betrachtenden Person als Repoussoirfigur ein Trick der klassischen Kunst, um den Betrachter Anteil am Geschehen nehmen zu lassen. Was das Kind und wir dann sehen und hören, ist eine weibliche Rücken-Figur, ebenfalls im Kostüm des 18. Jahrhunderts, die aus dem zentralen Fenster des runden Saales von Schloss Solitude herausschaut. Aber sie blickt nicht auf die ihr zu Füßen liegende Stadt Ludwigsburg, sondern in einen Spiegel, den sie sich zur Selbstbetrachtung vorhält. Und sie singt, ein wenig eintönig, ein wenig opernhaft, immer wieder dasselbe: “Ich bin was Besonderes.” Während man sich noch wundert, wie offen diese Person ihre Selbstüberschätzung artikuliert, fährt die Kamera rückwärts, die Besondere wird optisch immer kleiner und ihr Gesang wird nun begleitet von einem Männerchor: “Ja, ja”, singt er und später: “wir lieben dich”. Bald erfasst die Kamera die beiden Läufe der Freitreppe und man erblickt endlich die Sänger: Polizisten in der bundesrepublikanischen Uniform. Spätestens wenn die Kamerafahrt schließlich an der Straße angelangt ist und ein Bus der städtischen Verkehrsbetriebe vorbeifährt, klappt die Perspektive um in die spießige Gegenwart, aus der der Blick auf die Verkleidete, Besondere gerichtet wird. Was soll man nun im Rückblick von ihr halten? Spätestens hier ist die Besonderheit gestellt oder bestellt, man hat an einer Selbstinszenierung teilgenommen, über die man auch lächeln kann.

In ihren Film-Bildern definiert Schnitt das Besondere im historischen Raum: Kostüm und Schloss vom Ende des 18. Jahrhunderts, das als Zeit der Aufklärung, des neuerlichen Strebens zur Selbsterkenntnis (Diderot, Rousseau, Kant) bekannt ist, aber auch für die letzten übersteigerten Egomanien des Adelsstandes. Besonders zu sein bedeutet aber auch abgesondert und einsam sein im Schloss Solitude, das den passenden Namen zum Gefühl trägt. Schon im Märchen suchte die Königin Selbstbestätigung in der narzisstischen Selbstbespiegelung (Wer ist die Schönste im ganzen Land?) und die heutigen “Superstars” träumen davon, beliebt zu sein und bewundert zu werden. (s. Schmidbauer, S….) Ein gesundes Selbstwertgefühl ist ja auch positiv, sogar notwendig.

Alle brauchen das Gegenüber, das dem Selbst seine Bedeutung versichert. Hier bestätigen die Polizisten immerzu, was die Dame von sich selbst behauptet: “Ja, ja…”, was darauf schließen lässt, dass ihre Selbstwahrnehmung von einer Autorität bezeugt werden muss – ist sie sich doch nicht so sicher? Muss sie, die erhabene Person, deshalb in absolutistischer Manier Ergebenheitsadressen durch Uniformträger verlangen – oder erträumen? Ist es Anmaßung, Verstiegenheit, Realitätsverlust, Überspanntheit, Übertreibung, Hochmut… oder doch ein gut Teil Verunsicherung, wenn sie es nötig hat, sich aufzuwerten durch die historische Verkleidung und das hochoffizielle polizeiliche Zeugnis? Wenn sich die Dame allerdings immer wieder ihre Besonderheit einredet und sie litaneihaft beschwören lässt, wird die Wiederholung absurd und man fragt sich, worin eigentlich die Besonderheit begründet ist. Es sieht eher danach aus, als ob alles nur ein schöner Schein ist, eine theatralische Pose, wie sie in der barocken Affektenlehre für den gestischen und mimischen Ausdruck in der Kunst festgelegt wurde. Die Aussage bekommt zusätzlich mit dem Schwenk in die Jetztzeit einen doppelten Boden, etwas Hintersinniges, wenn man bedenkt wie auch die modernen „Superstars“ Kleidung, Habitus und Stil einsetzen, um berühmt und geliebt zu werden, und doch nur eine Leere bemänteln, Ausdruck ohne Inhalt vorgeführt wird.

Schloss Solitude

Film / Video, 2002

 shot on 16 mm film, available on 16 mm Film, DigiBeta and DVD, colour, sound, 10 min (Filmversion or Loop) Aspect Ratio 4:3 In following languages: German or English dubbed

More InformationDirector:, Songtext: Corinna Schnitt
Music Score: Mark Randall Osborn
Singer: Dagmar Würthen
Chorus: Polizeichor Saarbrücken
Child: Lilian Heere
Camera: Justyna Feicht
Steadicam Operators: Jörg Süß, Knut Adass
Grip: Jürgen Zarda, Dirk Walther, Dieter Müller-Lenz
Sound: Jens Ludwig, Dirk Krecker
Sound Mix: Enrico Corsano and Sound Vision, Köln
Light: Michael Böckmann, Tom Gork, Andreas Brenner
Costume: Lisa Fuß
Make Up: Lydia Hauser
Stillfotography : Ellen Bornkessel
Catering: Karin Geiger, Jacqueline Kowol
Produced with generous support: MFG-Filmförderung Baden Württemberg and Akademie Schloss Solitude

Synopsis

“I’m something special”: a graceful lady in court dress declaims this sentence in the late Baroque interior of Schloss Solitude in Stuttgart. A chorus of male voices answers her from the castle stair: “We love you”. A monotonous yet grotesque litany is created, that acquires a rather neurotic note in being so repetitious. Reduction to two camera settings, which strictly track the two axes of the Baroque interior, enhances the impression. The prologue is a sequence in which a child, also in court dress, leads the viewer into this absurd scenario. In the end banality breaks into the artificially generated tension as ironic relief.

Isabel Herda

Text by Cornelia Brüninghaus-KnubelIt begins like a period film: the interior of a late baroque palace, a child in a pretty rococo costume running towards the camera, which then wheels around to adopt the child’s perspective, so bringing together those of the child and of the viewer. Just as “The Child and the Countess” could be a pictorial theme from art history (and Corinna Schnitt did actually recall an historical photo when making it), the motif of the observer as a repoussoir figure is also a trick of classical art intending to draw the viewer into the picture space. What the child, and later we viewers see and hear is the back of a female figure, also in 18th century costume, looking out of the central window of the round hall at Solitude Palace. But she is not only looking at the city of Ludwigsburg lying below, but into a mirror which she is holding up to view her own reflection. And she is singing – a little monotonously, but in a somewhat operatic manner – the same thing over and over again: “I am something special.” While we are still recovering from our surprise over this person’s open articulation of exaggerated self-esteem, the camera falls back, the “special lady” becomes smaller and smaller, and her song is now accompanied by a male choir: “Yes, yes”, they sing, followed by “we love you”. Soon the camera captures two flights of the open staircase and we finally glimpse the singers: policemen in uniform. By the time the tracking camera has arrived at the street and a local transport bus has driven past, the perspective shifts into a petit-bourgeois present from which our viewpoint is directed at the costumed, “special” figure. Looking back, what are we to think of her now? Here, at the latest, her special quality is seen as a pose or as something invoked; we have taken part in a self-staging that can now be smiled at. In these film images, Schnitt defines the special within an historical framework: a costume and palace dating from the late 18th century, a period known as the age of enlightenment, of recent striving for self-knowledge (Diderot, Rousseau, Kant), but also associated with the last, exaggerated ego mania of the aristocracy. However, being special also means being isolated and lonely in Solitude Palace, correctly named to express this feeling. In the fairy-tale, the queen already sought confirmation in narcissistic contemplation of her reflection (who is the fairest of them all?) and today’s “superstars” dream of being popular and admired. (See Schmidtbauer,….) Indeed, a healthy sense of self-esteem is positive, even necessary.

We all require a counterpart to assure us of our significance. Here the policemen continually confirm the lady’s claims for herself: “Yes, yes…”, which makes us suppose that her self-perception has to be witnessed by some authority – perhaps she is not quite so sure? Is this why she, the noble lady, has to demand – or dream up – expressions of submission from the wearers of uniform in such an absolutist manner? Is it presumption, extravagance, loss of reality, eccentricity, exaggeration, haughtiness … or perhaps a considerable measure of uncertainty that makes it necessary for her to enhance her own value by means of historical clothing and some official police evidence?

However, when the lady continually persuades herself of how special she is, conjuring this up as if in a litany, the repetition becomes absurd, and one asks oneself what exactly constitutes her special quality. It rather looks as if all this is no more than beautiful semblance or a theatrical pose, similar to the expressive gestures and mimicry established by the theory of affects applied in baroque art. In addition, the swing into the present time makes the message ambiguous or rather cryptic, if one considers the way that modern “superstars” also employ clothing, behaviour and style in order to become famous and popular, yet only succeed in covering up emptiness in this way; conveying expression without any content.