Ute Haug, Das nächste Mal

Corinna Schnitt erzählt mit Wort und Bild und formt damit ihre filmischen Kurzgeschichten. Ihre Narrationen beginnen als alltägliche Geschichten und wandeln sich im Bilder- und Erzählfluß zu abstrußen Begebenheiten. So auch in ihrer Arbeit „Raus aus seinen Kleidern“ (1998/99), die zwei anderen Arbeiten („Zwischen vier uns sechs“ (1997/1998) und „Schönen, guten Tag“ (1995) eine Trilogie bildet.
Eine junge Frau steht auf dem Balkon und schüttelt stetig ihr Gewand. Sie schildert ihre Klamottenmarotte als völlig normale Erscheinung und mißt an den textilen Gewohnheiten ihrer wechselnden Partner, deren Qualität und Partnertauglichkeit. Immer weiter entfernt sich die Kamera von der Erzählenden, immer mehr kommt ihr Umfeld in den Blick, immer absonderlicher werden ihre Ansichten. Distanz entsteht und somit eine Sicht des Betrachters auf das Szenario.
In allen ihren Filmen sind Frauen Protagonistinnen und immer wird ihre Funktion in menschlichen Gefügen thematisiert. Die ruhige Kameraführung, die mit wenigen Schnitten auskommt, als auch der unaufgeregte und sehr einnehmende Off-Ton bilden Filmgeschichten, die die Rolle der Frau am Maßstab bürgerlichen Verhaltens mißt. Gemeinsam ist diesen filmischen Werken die leise Kritik an Gesellschaftsnormen, vermittelt durch ironische und satirische Komponenten.

Öffentliche Platzsituationen sind zentrales Thema einer weiteren Filmserie Corinnas Schnitts. Gemeinsam ist ihnen die filmische Dauer, die wortlos, jedoch nicht ohne akustische Informationen, einzelne Frauen zeigen, die sich auf ausgesuchten öffentlichen Plätzen aufhalten. Ihre Handlungen sind stark reduziert.

In „Das nächste Mal“ (1999) betritt eine Frau bekleidet mit Anzug und weißer Bluse, mit einem Mantel in der Hand die runde Innenfläche eines Kreisverkehrs in einem Wohnviertel. Begrünt mit Büschen und Bäumen macht sich auf diesem eine seltsam anmutende hölzerne Pergolakonstruktion breit. Die Frau bleibt beim Queren des Platzes an dessen Rand stehen und verharrt, lange, sehr lange und geht dann unvermittelt weiter, überschreitet die Straße und verschwindet aus dem Bild, als sei nichts geschehen, als seien keine endlos scheinende Minuten verstrichen. Um sie herum läuft der alltägliche Verkehr weiter, kaum haben Vorbeiziehende die erstarrte Person bemerkt.

Der Aachener Europaplatz, Empfangsportal für motorisierte Autobahnfahrer, ist eigentlich kein Platz sondern ein Brunnen. Die runde Anlage ist umgeben von einer stark befahrenen zweispurigen Straße und städtischer Bebauung. Kein Weg führt auf den Platz. Er soll nicht Betreten, nur Betrachtet werden. Und doch wagt sich eine Wassersüchtige in das Gewässer. Wie sie auf den Platz gekommen ist, weiß man nicht. Mit Badeanzug und weißer Bademütze bekleidet taucht die einsame Schwimmerin aus dem Becken, setzt sich an den Brunnenrand, verweilt und schaut, gleitet wieder in das Nass und vollendet ihre Runde. Und so könnte es immer weiter gehen. Abermals nimmt die Umgebung keine Notiz von dieser einzelnen Person. Wieder porträtiert Corinna Schnitt eine Stadtanlage aus ungewohnter Sicht und bestückt sie mit einer von Stadtplanern nicht vorgesehenen Aktion.

Herbstzeit ist Pilzzeit, doch niemand erwartet bei seinem Spaziergang im Grünen einen überdimensionalen Betonpilz – einer heute skurril wirkenden Bausünde aus den 70er Jahren – der sich völlig artuntypisch auf einer Wegkreuzung angesiedelt hat. Der in unmittelbarer Nähe stehende Mensch bekleidet mit einer grünen pilzförmig geschnittenen Pelerine, quasi getarnt, macht die gesamte Szenerie noch befremdlicher. Er benötigt den Schirm nicht, da er sich durch seinen Umhang schützt. Und er scheint ihn sogar trotz seiner Größe noch nicht einmal zu registrieren.

Unbeteiligte oder von anderen Passanten unbemerkte Individueen betreten abweisende Architekturen, okkupieren sie, indem sie sich ihrer bedienen oder ignorieren. Beides, Bauwerk und Mensch, bleiben vereinzelt, bilden keine Einheit, wie es doch zu wünschen wäre. Corinna Schnitt präsentiert mir ihren filmischen Kabinettstückchen unsere alltägliche Umgebung, die wir nicht mehr wahrnehmen, weil wir sie nicht mehr sehen. Mit ihren Werken öffnet uns die Künstlerin die Augen und wir erkennen eine Umwelt, die wir uns menschlicher gestalten könnten, sähen wir sie, so wie sie tatsächlich ist.