Zwischen vier und sechs, Stefanie Dathe

Von Stefanie Dathe

 Das Streben nach persönlichem Glück, nach einem dauerhaften Gefühl der Zufriedenheit und Harmonie, zählt zu den elementaren Antrieben menschlichen Handels. Mit dem Gedanken an Glück verbinden sich Sehnsuchtsbilder von idyllischen Orten der Sicherheit und Zuflucht, Geborgenheit und Intimität. Letztere Begriffe sind zu bedeutungsvollen Desideraten in einer Gesellschaft geworden, die durch die global beschleunigte Mobilität und die unaufhaltsame Umstrukturierung sozialer Netze in wachsender Verunsicherung lebt. Ein Rückzug in die private Behaglichkeit und die Obhut der familiären Bande bietet eine vermeintliche Lösung für das Problem der Entfremdung und impliziert den Wunsch nach einem vollkommenen und mithin glücklichen Leben.

Mit einem Blick für die versteckten Absonderlichkeiten in den normativen Konventionen unseres gesellschaftlichen Handelns spürt Corinna Schnitt den bürgerlichen Klischees vom Glück in einer sorgenfreien Welt des Wohlstands nach. In ihren Videofilmen kommen Vermieter und Versicherungsvertreter, Ehepaare und erwachsene Kinder zu Wort. Sie berichten von persönlichen und beruflichen Anliegen, innerfamiliären Gewohnheiten und Ritualen in einem Alltag, der wenig Spielraum für Abweichungen aus den gewohnten Mustern eines beispielhaft pflichterfüllten Lebens gewährt.

„Bei uns zu Hause gab es einen ganz genauen Tagesplan.“ Mit dieser Bemerkung beginnt der autobiografische Monolog einer jungen Frau, die im sachlichen Tonfall nüchterner Selbstverständlichkeit von den lieb gewonnenen Gewohnheiten ihres Familienlebens berichtet. Ihre Stimme kommt aus dem Off, während die Kamera langsam am Straßenrand einer typisch deutschen Einfamilienhaussiedlung mit niederrheinischem Lokalkolorit entlang fährt. Sie dokumentiert das äußere Bild einer leeren Idylle voll kleinbürgerlicher Enge und grauer Monotonie. Und plötzlich entfaltet sich in der Vertrautheit der Szenerie ein Widerspruch. Plötzlich erscheinen die Erzählungen von der fürsorglichen Mutter und dem Segen unbeschwerter Kindheitstage eine Spur zu euphorisch, zu verklärt. Spätestens wenn Eltern und Tochter beim wöchentlichen Straßenschilderputz ins Blickfeld der Filmkamera geraten, kippt die Atmosphäre sorgloser Harmonie in beißende Realsatire um. Die neurotische Handlung, die sich im Dienst des öffentlichen Gemeinwohls jeden Sonntag zwischen Vier und Sechs wiederholt, wird der Sinnlosigkeit überführt. Und die psychosoziale Geborgenheit, die das stereotype Putzritual im Kreise der Familie schafft, scheint der Lächerlichkeit einer zwanghaften Marotte preis gegeben.

Mit spielerischer Leichtigkeit, scheinbar naiv und unverfänglich nimmt Corinna Schnitt unsere anerzogenen und adaptierten Vorstellungen von einem glücklichen Leben beim Wort. So entwickelt sie unter dem Titel Living a Beautiful Life das Filmporträt eines gut aussehenden Ehepaares der gehobenen amerikanischen Mittelschicht, das in einer geschmackvoll eingerichteten Villa hoch über Los Angeles residiert und wechselseitig in die Kamera von den vielfältigen Annehmlichkeiten eines erfolgreichen Berufs- und erfüllten Privatlebens berichtet. Mit strahlendem Lächeln schwelgen die Beiden in Lifestyle-Klischees. Sie erzählen von ihrem perfekten Leben, das so makellos komponiert erscheint wie das Haus und der Film selbst. Als Zuschauer lässt sich die kontemplativ vorgetragene Litanei vom totalen Glück nur schwer ertragen. Und ein Gefühl der Beklommenheit stellt sich ein, wenn in der Idylle die Groteske gedeiht.

Unter dem Deckmantel des Dokumentarischen bergen Corinna Schnitts Kurzfilmepisoden aufschlussreiche Beobachtungen über die kleinen Absurditäten im System der sozialen Codes. Sie erscheinen zufällig und beiläufig gewählt, sind aber tatsächlich sehr präzise inszeniert und funktionieren als „private Wasch- und öffentliche Wunschmaschine“1, die den Mythos vom Lebensglück in einer Welt der bürgerlichen Tugenden als Fiktion entlarvt. Dem Zuschauer wird die Rolle des Voyeurs zugeschoben, der sich an den Skurrilitäten ergötzt, um zugleich sich selbst und seine eigenen Gewohnheiten hinterfragen zu müssen. Immer wieder offenbart sich die Brüchigkeit des äußeren Scheins. Ordnungsliebe, Fleiß und Reinlichkeit, Schönheit, Erfolg und Luxus mögen der praktischen Alltagsbewältigung dienen und die äußere Sicherheit des gesellschaftlichen Konformismus garantieren. Ob sie die Sehnsüchte nach innerer Geborgenheit erfüllen, bleibt zweifelhaft.

1 Gregor Jansen: Interfaces, in: Corinna Schnitt, Freizeit, Frankfurt 2001, S.52.