Von Gregor Jansen
Corinna Schnitt macht Bilder über gesellschaftliche Beziehungen. Neben
den Videoarbeiten folgt sie auch in den Fotografien einem Prinzip, das
mit der pseudonarrativen Verschränkung von Innen und Außen beschreibbar
wäre. Immer ist ein Außen sichtbar, eine Szenerie im Öffentlichen oder
für ein Öffentliches wie bei den »Familienportraits« oder den mit
»Freizeit« betitelten »Runden Orten«. In ihnen ist eine Innenwelt ganz
direkt sichtbar oder aber subtiler denkbar, oder eine mit der eigenen
Erfahrungswelt abzugleichende schiebt sich ins Bild. Und eigentlich
immer wird das Außen in ein Innen überführt.
Die Bilder erscheinen zufällig, beiläufig und banal, sind aber
tatsächlich sehr präzise arrangiert und konstruiert. Es ist der
beobachtende, sezierende Blick, der den lakonischen Bildern eine
Objektivität verleiht, die ihre Nähe zur Realsatire sucht und findet.
Nichts ist unmöglich, nichts ist so abwegig, dass es nicht doch eine
Verortung im Rasterfahndungssystem deutscher Mentalität erfahren könnte.
Sind die Filme ihrem Medium gemäß zu einer Erzählung gereihte
Fotografien wie die Wörter eines Satzes, die aneinandergereiht den
narrativen Strang bilden, der uns mit ihr in eine surreale Beziehung
treten lässt, dann sind die Fotografienals Serien jeweilige Variationen
eines Satzes, der lauten könnte: »Da wo ich herkomme, ist die Welt noch
in Ordnung-scheinbar«. Vorstellbar wären auch die Sätze »Bedenke dass Du
interpretierst, wenn Du etwas siehst«, »Man muss sich selbst ein
bißchen Freude machen« und »Schön ist ein Hauch Wahnsinn«.
Schnitts Bilderserien sind humorvoll, komisch, bisweilen auch absurd und
gemein, und unterschwellig ernst und voller Kritik. Denn der
Beiläufigkeit, der spielerischen Leichtigkeit des scheinbar Privaten
liegen Beobachtungen von Repräsentation und deutscher Tragweite
zugrunde. Wenngleich das Lokalkolorit von Ruhrgebiet und Niederrhein
durchschimmert, ist die grundlegende Dimension des Deutschtums in seiner
»schwärzesten Seele« offenbar. Aber im Offenlegen liegt nicht allein
eine Introspektion in die dunkel-staubigen Unter-Tage-Stollen ihrer
Heimat, es ist eine Introspektion der eigenen Vorstellungen und
Klischees diesen Phänomenen und Konstrukten gegenüber. Sie bedienen den
Wunsch nach Authentizität und Ehrlichkeit, ja sogar nach Kontroverse und
Spannung, ist doch gerade das Umkippen von Innen nach Außen-und
umgekehrt-räumlich vollzogen als auch psychologisch zu denken. Die
offensichtliche Normalität ist ganz fromm und frei auch als Absurdität
des Ortes wie des Subjekts gegeben.
Corinna Schnitt zeigt uns soziale Kräfte auf, die die jeweiligen Orte
konstruiert und geschaffen haben. Sie zeigt die gesellschaftlichen
Verhältnisse und Beziehungen, indem sie diese zerlegt und zugleich
zusammenfügt.Sie zeigt auch die Kräfte des Mediums Fotografie-seine
subjektive Tatsachen bildende Objektivität-als private Wasch- und
öffentliche Wunschmaschine. »Nicht nur sauber, sondern rein« ist in den
Bildern häufig das Thema. In den idyllischen »Familienporträts« ist sie
selbst immer zugegen. Sie ist als Tochter, Mutter, Freundin, Ehefrau,
Verwandte oder Gast in unterschiedlichsten Situationen Teil der
fotografischen aber auch sozialen Konstruktion, die der allgemein
bekannten Typologie des Familien- oder Freundschaftsporträts gehorcht.
Was in der Fensterserie vorgezeichnet war-die Veränderung des objektiv
scheinenden Raumes durch die Veränderung des Fensterausblicks, also des
Hintergrundes-ist in den Fotografien der Familienporträts sauber
überzeichnet. So hat der Betrachter die aufschlussreiche Beobachtung zu
machen, wie individuell, austauschbar und gemein das Bild einer Idylle
konstruiert wird, durch die der jeweilige Stimmungsgrad enorm schwankt.
Es sind die Mythen des »So-ist-es-Gewesen« der Fotografie und der
»familiären Bande« des Psycho-sozialen in denen die Stimmungslage ihre
positiven Momente heraus ableitet, und es sind die Fakten des Scheins
und der Schizophrenie des Menschseins, in denen negative Bezüge
begründbar sind.
Gemeinsame Lebensstile, Unterschiede der Lebensstile, Erwartungen und
Orientierungen diesen gegenüber, das Besondere im Allgemeinen und
Alltäglichen arbeiten mit dem Kodex von Verhalten und Erscheinung,
lassen permanent und frappierend einfach den Horizont der Betrachtung
als fixe Idee fallen. Wir, die Betrachter, werden zu Voyeuren des
Offensichtlichen, die Geschichten und Welten um die banal-surrealen
Motive herumdichten, in denen wir uns selbst so nah wie fremd sind.
Ließe sich fragen, ob das Prinzip von Außen und Innen, welches uns in
der Wahrnehmung unserer Identität immer auch mit den Anderen
konfrontiert, bei Corinna Schnitt sezierend analytisch oder romantisch
ironisch eine Definition von Privatsphäre meint? Doch wer fragt bei
Interfaces oder Schnittstellen schon nach ihrer Befindlichkeit und einer
hieraus ableitbaren Bedeutung?
Entscheidend ist, ob es eine Privatsphäre gibt und wie ein
Kommunikationsraum aus diesem heraus manifest ist? In Zeiten von
Mobilität und Kompatibilität zählt die Einheit: die Konvention des
Interface, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie konstruiert die
Verbindungen zwischen Innen und Außen, zwischen Bild und Welt, zwischen
Form und Bedeutung sind.
Entscheidend ist immer das System und seine Kompatibilität, seine Verwendung und gesellschaftliche Realität.